Arbeitsstand der AG HRG Deutsche Philologie II (Themenübersicht)
(alle nicht online verfügbaren Texte sind in einem Aktenordner an der Aufsicht der Bibliothek im Institut für Deutsche Philologie II als Kopiervorlage gesammelt)

 

HRG-AG Deutsche Philologie II
AK Demokratiebegriff, Öffentlichkeit, Weiterbildendes Studium - Gesetze erfahrbar machen
Nils Rosenbohm (9.12.1997 / 3. Fassung)

§ 2 (Aufgaben) - vorläufiger Entwurfstext

  1. 1Die Hochschulen dienen entsprechend ihrer Aufgabenstellung der Pflege und der Entwicklung der Wissenschaften, der Künste, der Bildung und der Weiterbildung durch Forschung, Lehre und Studium in einem freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat. 2Sie bereiten auf berufliche Tätigkeiten vor, die die Anwendung und die Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse und wissenschaftlicher Methoden oder die Fähigkeit zu künstlerischer Gestaltung erfordern.

  2. Die Hochschulen fördern entsprechend ihrer Aufgabenstellung den wissenschaftlichen und künstlerischen Nachwuchs.

  3. Die Hochschulen beteiligen sich an Veranstaltungen der Weiterbildung. Sie fördern die Weiterbildung ihres Personals.

  4. Die Hochschulen wirken an der sozialen Förderung der Studierenden mit; sie berücksichtigen die besonderen Bedürfnisse von Studierenden mit Kindern und von behinderten Studierenden.

  5. Die Hochschulen fördern die internationale, insbesondere die europäische Zusammenarbeit im Hochschulbereich und den Austausch zwischen deutschen und ausländischen Hochschulen; sie berücksichtigen die besonderen Bedürfnisse ausländischer Studierender.

  6. 1Die Hochschulen wirken bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben untereinander und mit anderen staatlichen und staatlich geförderten Forschungs- und Bildungseinrichtungen zusammen. 2Dies gilt insbesondere für die nach der Herstellung der Einheit Deutschlands erforderliche Zusammenarbeit im Hochschulwesen.

  7. Aufgabe der Hochschulen ist auch der Wissens- und Technologietransfer.

  8. Die Hochschulen unterrichten die Öffentlichkeit über die Erfüllung ihrer Aufgaben.

  9. 1Die unterschiedliche Aufgabenstellung der Hochschularten nach § 1 Satz 1 und die Aufgaben der einzelnen Hochschulen werden durch das Land bestimmt. 2Andere als die in diesem Gesetz genannten Aufgaben dürfen den Hochschulen nur übertragen werden, wenn sie mit den in Absatz 1 genannten Aufgaben zusammenhängen.

    Vorläufige Kommentierung zu § 2 des HRG:

    Erklärung der Siglen:
    HRG (a): Das derzeit gültige Hochschulrahmengesetz ("alt")
    HRG (bl): Der Bund-Länder-Entwurf zum neuen Hochschulrahmengesetz
    HRG (fzs): Der Entwurf des freien zusammenschlusses von studentInnenschaften
    HRG (n): Der Entwurf der AG Demokratiebegriff, Öffentlichkeit, Weiterbildendes Studium ("neu")

    Detailkommentierung:

    Absatz 1 Satz 1: Weiterbildung ist nicht zu begreifen als Instrument der Pflege und Entwicklung der Wissenschaften und Künste [vgl. HRG (bl)], sondern sie ist ein weiterer konstitutiver Aufgabenbereich der Hochschulen. Sie schafft gesellschaftliche Relevanz außerhalb der Forschung.
    Notwendig ist, § 21 (a) beizubehalten, da dieser Näheres zum weiterbildenden Studium regelt. Bildung als weiteres Ziel festzuschreiben fördert darüber hinaus die Präsenz der Hochschulen in der Gesellschaft. Diese Präsenz war zwar im HRG (a) als Möglichkeit nicht ausgeschlossen, hatte aber nicht annähernd diesen Stellenwert.
    Die Differenzierung in Bildung und Weiterbildung trägt den geänderten wissenschaftlichen und beruflichen Rahmenbedingungen Rechnung. Statt Weiterbildung als Studium im Alter zu marginalisieren, erschließt die studiengangsspezifische Ausgestaltung des Zieles Weiterbildung den Hochschulen die Bereiche, die bislang der innerbetrieblichen und außeruniversitär-beruflichen Weiterbildung vorbehalten blieben.

    Absatz 1 Satz 2: Direkt aus der Hochschulbildung abgeleitete Wissensvermittlung transportiert wissenschaftliche Erkenntnis und wissenschaftliche Methoden in die Gesellschaft. Auch kritische Reflexion von Inhalten und Methoden außerhalb der Hochschulen wird somit möglich.

    Absatz 3: Durch die Aufnahme der Weiterbildung in § 2 (1) (bl) erübrigt sich die Aufführung des weiterbildenden Studiums in §2 (3) (bl). Festzuschreiben ist jedoch die Beteiligung an Veranstaltungen der Weiterbildung, da diese auch Formen der Lehre und des Lernens beinhaltet, die nicht hochschulspezifisch sind. Eine Zusammenarbeit mit anderen Bildungseinrichtungen etc. soll so ermöglicht und gefördert werden.

    Absatz 4 Satz 2: "Sie fördern in ihrem Bereich den Sport." Die Förderung des Sports zählt nicht zu den hochschulspezifischen Aufgaben. Alternativ könnte ein Absatz die Förderung von æAusgleichsaktivitätenÆ regeln.

    Absatz 7: § 2 (7) (bl) tritt an die Stelle der Weiterbildungsverpflichtung durch § 2 (4) (a). Wissens- und Technologietransfer ist ergebnisorientierte Zusammenarbeit mit anderen Forschungseinrichtungen. Der Weiterbildungsauftrag bleibt hier unberücksichtigt und ist auch nicht abgedeckt durch § 2 (1) (bl), da dort Weiterbildung instrumentalen Charakters ist (vgl. Kommentierung zu § 2 Absatz 1 Satz 1). Kombiniert werden muß § 2 (7) (bl) demnach mit einem die Weiterbildungsformen außerhalb der Hochschule betreffenden Absatz [vgl. § 2 (4) (a)]. Nur so ist gewährleistet, daß die ergebnisorientierte Hochschulkonzeption des HRG (bl) in einer verbesserten Fassung nicht dominiert. (Wissenschaftliche) Weiterbildung innerhalb und außerhalb der Hochschule ist ein Wert an sich.

     

    Gesamtkommentierung des § 2 (bl):

    Auf den ersten Blick stellt § 2 des HRG (bl) lediglich eine leicht überarbeitete -vielleicht ,modifizierteÆ- Fassung des entsprechenden § des HRG (a) dar. Interpretiert jedoch im Kontext des gesamten Bund-Länder-Entwurfs, zeigt sich sowohl seine implizite Zielsetzung als auch seine Funktion innerhalb des HRG (bl).
    So ist erkennbar, daß Weiterbildung -bestehend aus "weiterbildendem Studium" und "Beteiligung an Veranstaltungen der Weiterbildung"- von einem wesentlichen, nicht weiter zu begründenden Aufgabenbereich der Hochschulen in § 2 Absatz 4 (a) zu einem Instrument der "Pflege und der Entwicklung der Wissenschaften und der Künste" reduziert wird. Durch die Aufnahme in den ersten Absatz scheint der Weiterbildung ein höherer Stellenwert beigemessen zu werden. Das Gegenteil ist der Fall. Einmal erwähnt an exponierter Stelle, ist Weiterbildung im folgenden nur noch von sehr untergeordneter Bedeutung für das Hochschulkonzept des Bund-Länder-Entwurfs. Wo zuvor ein eigener ausdifferenzierender Absatz seinen Platz hatte (§ 2 Absatz 4 a), bleibt ein Absatz als Fragment erhalten, der nur noch die Weiterbildung des Hochschulpersonals vorsieht ( § 2 Absatz 3 bl). Anstelle der Weiterbildungsverpflichtung tritt die Verpflichtung zum "Wissens- und Technologietransfer". Durch die im Bund-Länder-Entwurf vorgenommene Streichung des § 21 (a), der das weiterbildende Studium regelt, ist Weiterbildung als eigenständiger Aufgabenbereich der Hochschulen dann faktisch beseitigt.
    Was hier exemplarisch gezeigt ist, bildet ein wesentliches Funktionsprinzip des Bund-Länder-Entwurfs zum HRG: Es werden zentrale Aspekte der Hochschulbildung, wie sie bisher zumindest auf dem Papier Bestand hatten, entfernt oder zumindest instrumentalisiert. Das Ziel gibt der Markt vor: Hochschule wird zur Produktionsstätte von Wissen und Technologie, mit etwas Vorstellungsvermögen läßt sich auch das "Wissen" näher beschreiben: Wissen für Technologie; Wissen also, das Technologie handhabbar macht und diese erdenkt. Wo die Wissenschaft, die die Grundstrukturen und die Erscheinungsformen der Gesellschaft und also auch die Wissenschaft selbst reflektiert, bleibt in einer Konzeption, die nur auf Ergebnisse zielt, Bildungsprozesse als Ziel eigener Qualität aber nicht mehr denkbar erscheinen läßt, beantwortet das HRG (bl) nicht. Zu vermuten ist, daß für diese Form der Wissenschaft (aus naheliegenden Gründen) kein Platz mehr im ,neuenÆ Hochschulkonzept bleibt.
    Daß gerade das HRG (bl) den freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat in seine Konzeption aufnimmt und ihm eine zentrale Stelle im Legitimationszusammenhang zuweist [§ 2 Absatz 1 Satz 1 (bl)], zeigt im Kontext wiederum die ,AblenkungsfunktionÆ des § 2 Absatz 1 (bl). Nachdem die Demokratie und der Rechtsstaat als Grundlagen der Hochschulbildung einmal hochgehalten wurden, werden sie dann im Gesetzestext weitgehend vernachlässigt. Hingewiesen sei hier z. B. auf die Streichung des § 39 (a) im Bund-Länder-Entwurf, der die Regelung von Wahlen an Hochschulen zum Gegenstand hat. Im Hinblick auf eine demokratisch verfaßte Studierendenschaft wird kein Fortschritt erzielt; es bleibt Ländersache, einem demokratisch legitimierten Studierendengremium ein Existenzrecht zuzuschreiben (§ 41 Absatz 1 des Bund-Länder-Entwurfs). Das gesamte HRG (bl) dokumentiert den Rückzug des vordergründig die oberste Werteinstanz im Text repräsentierenden Rechtsstaats aus seiner Verantwortung für die Hochschulen.

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    HRG-Arbeitskreis am Philosophischen Seminar der WWU Münster

     

    § 2 (Aufgaben) û Vorläufiger Entwurf

    1Die Hochschulen arbeiten entsprechend ihrer Aufgabenstellung an der Entwicklung der Wissenschaften und Künste durch Forschung, Lehre, Studium und Weiterbildung für einen und in einem freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat mit. 2Sie bereiten auf gesellschaftliche und berufliche Tätigkeiten vor, die die Anwendung wissenschaftlichen Erkennens, wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden oder die Fähigkeit zu künstlerischer Gestaltung erfordern.

  10. Die Hochschulen fördern entsprechend ihrer Aufgabenstellung die Studierenden und den wissenschaftlichen und künstlerischen Nachwuchs.

  11. 1Die Hochschulen dienen dem weiterbildenden Studium und beteiligen sich an Veranstaltungen der Weiterbildung. 2Die Hochschulen fördern die Weiterbildung ihres Personals. Näheres regelt der §21 dieses Gesetzes.

  12. 1Die Hochschulen wirken an der sozialen Förderung der Studierenden mit; die Hochschulen tragen für die Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse von behinderten Studierenden und Studierenden mit Kindern Sorge. 2Die behindertengerechte Ausstattung der Hochschulen sowie eine ebensolche Organisation des Studiums sind Aufgabe der Hochschulen.

  1. Die Hochschulen fördern die internationale, insbesondere die europäische Zusammenarbeit im Hochschulbereich und den Austausch zwischen deutschen und auländischen Hochschulen; sie berücksichtigen die besonderen Bedürfnisse ausländischer Studierender.

  2. 1Die Hochschulen wirken bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben untereinander und mit anderen staatlichen und staatlich geförderten Forschungs- und Bildungseinrichtungen zusammen. 2Dies gilt insbesondere für die nach der Herstellung der Einheit Deutschlands erforderliche Zusammenarbeit im Hochschulwesen.) 3Die umfassende und kontinuierliche Ausbildung an einer Hochschule muß gewährleistet bleiben.

  3. Aufgabe der Hochschulen ist der Transfer von Forschungsergebnissen und Technologie auf der Grundlage der in Absatz 1 Satz 2 dieses Paragraphen entwickelten Wissens- und Erkenntnisbegriffs.

  4. 1Die Hochschulen fördern in ihrem Bereich den Umweltschutz. 2Zudem fördern sie Kultur und Sport.

  5. Die Hochschulen unterrichten die Öffentlichkeit über die Erfüllung ihrer Aufgaben.

  6. 1Die unterschiedliche Aufgabenstellung der Hochschularten nach §1 Satz 1 und die Aufgaben der einzelnen Hochschulen werden durch das Land bestimmt. 2Andere als die in diesem Gesetz genannten Aufgaben dürfen den Hochschulen nur übertragen werden, wenn sie mit den in Absatz 1 genannten Aufgaben zusammenhängen.

 

Vorläufiger Kommentar

Zu §2:

Die Aufgabenstellung der Hochschulen enthaltend, bietet der §2 eine Wesensbestimmung, die in der allgemeinen Struktur des HRG als grundlegend betrachtet werden muß: von den allgemeinen zu den speziellen Gesetzen enthält er den Wertungsmaßstab für die folgenden Paragraphen. Der Entwurf des Freien Zusammenschlusses von StudentInnennschaften orientiert sich am geltenden HRG-Text unter Ergänzung der weiblichen Geschlechterformen. Der Entwurf des Kabinetts ergänzt einerseits in §2, Absatz 1, Satz 1 die Weiterbildung als Aufgabe û ersetzt damit den Absatz 4, Satz 1 des Paragraphen 2 im bestehenden HRG û und ergänzt andererseits, daß die Universität in einem "freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat" wirken soll. Der §2 Absatz 2 wird durch den §3 (Gleichberechtigung) ersetzt. In §2, Absatz 4, Satz 1 wird als neue Aufgabe der Hochschulen die Förderung von Studierenden mit Kindern formuliert. §2, Absatz 6, Satz 2 wird neu eingesetzt und betont die Zusammenarbeit in Hinblick auf die Vereinigung Deutschlands.

 

Allgemeiner Kommentar:

Obwohl sich im Vergleich zu anderen Paragraphen nicht viel geändert zu haben scheint, gewinnen die Einzelheiten in dieser Aufgabenzuweisung an Bedeutung. Dabei können drei wesentliche Aspekte genannt werden:

  1. die fachliche Kompetenz der Hochschulen, die in Forschung und Lehre wahrgenommen wird;

  2. die soziale Verantwortung der Hochschule gegenüber ihren Mitgliedern und

  3. die Verantwortung vor der gesellschaftlichen Öffentlichkeit, sowie die Wirkungsmöglichkeit im außerhochschulischen Bereich.

In dem §2 der verschiedenen HRG-Fassungen kondensieren sich Bilder von Hochschule und ihren Mitgliedern, die sich in der unterschiedlichen Akzentuierung auszeichnen. Der vorliegende Entwurf versucht im Sinne der Studierenden und aller anderen Beteiligten der Universitäten, die Schwerpunkte anders zu setzen. Dabei ist die Vernetzung der drei Aspekte besonders zu beachten: Forschung und Lehre sollten auch weiterhin allen Mitgliedern ermöglicht werden, wozu die spezifisch sozialen Verhältnisse stärker in Betracht kommen müssen, gerade unter dem Gesichtspunkt einer sich verschärfenden sozialen Differenzierung; dieser Anspruch kann aber nur gestellt werden, wenn andererseits auch die gesellschaftliche Bedeutung der Hochschulen stärker wird. Dabei ist auch auf den Begriff der Autonomie zu rekurrieren: Freiheit der Hochschule ist Voraussetzung für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben für die demokratische Gesellschaft.
Die passiv-reflexive Definition der Hochschule gegenüber der Gesellschaft enthält in ihrem Kern hingegen schon die Unfreiheit, die im weiteren einer ökonomisierenden Fremdbestimmtheit Raum läßt. Parallel dazu fehlt jegliche Differenzierung von Wissen als prozessualer und reflektierter Größe und Wissen in Form von faktischen Forschungsergebnissen. Quantifizierbare Ergebnisse werden verkürzend mit qualitativer Gestaltungskraft gleichgesetzt.
Dabei muß wohl betont werden, daß es sich in §2 nicht um eine faktische Darstellung handeln kann, sondern um die ideale Vorstellung, an der sich tatsächliche Praxis messen lassen muß und die erst in einer Konkretisierung Wirkkraft entwickeln kann. Bezeichnend bleibt, daß nicht die Finanzierung am Anfang steht, sondern der von allen Hochschulen zu bietende Rahmen für gesellschaftliche Bildung. Allerdings wäre noch festzustellen, daß eine Verpflichtung des Staates und der Länder gegenüber der Bildung im HRG fehlt. In der gegenwärtigen Situation hingegen ist auch auf die Pflicht einer besser gesicherten Finanzierung der Universität zu verweisen, die notwendig an der Qualitätssicherung von Forschung und Lehre teilhat.

Einzelstellenkommentare

Zu Absatz 1, Satz 1: Inhaltliche Aufgaben
Entgegen der Formulierung des Kabinetts wird die aktive Mitarbeit der Hochschulen an der Gesellschaft als Auftrag betont.

Zu Absatz 1, Satz 2: Vorbereitung und Ziel der Ausbildung
Als Aufgabe der Hochschulen wird auch die gesellschaftliche Tätigkeit gesehen, die im Sinne des erweiterten §2, Absatz 1, Satz 1 verstanden wird. Die weitere Ergänzung trägt dem differenzierteren Bildungsbegriff Rechnung, der in der reflektierenden Kompetenz und erst in zweiter Linie in faktisch-finalem Wissen fußt, so daß der durchdachte und sich weiterentwickelnde Erkenntnisprozeß als Teil der Wissenschaft berücksichtigt ist. Damit wird als notwendig betrachtet, die Erkenntnisfähigkeit stärker zu betonen, auch um gesellschaftliches Gestaltungspotential zu fördern.

Zu Absatz 2: Förderung des wissenschaftlichen und künstlerischen Nachwuchses
Unter wissenschaftlichen und künstlerischem Nachwuchs werden hier Hochschulabsolventen verstanden, die "sich ggf. über Promotion und Habilitation auf die Tätigkeit als Hochschullehrer" vorbereiten. Die Aufgabe der Hochschulen, die Studierenden durch forschendes Lernen zu fördern, bleibt dadurch unangetastet.

Zu Absatz 3: Aufgabe der Weiterbildung
In diesem Absatz wird ein wesentlicher Teil der Hochschule formuliert, der dem prozessualen Wissensbegriff verpflichtet ist und der Einschränkung auf berufsqualifizierende Abschlüsse entgegensteht. Die stärkere Mitwirkung der Hochschulen an der Gesellschaft findet so Ausdruck. Mit weiterbildenden Projekten ist dabei neben dem Studium im Alter auch die stärkere Vernetzung von Forschung und Praxis anzustreben. Die Ergänzung in Absatz 1, Satz 1 reicht für die wachsende Bedeutung dieses Aspektes nicht aus, deswegen wird in dem vorliegenden Entwurf der erste Satz des Absatzes aus dem bestehenden HRG übernommen und auf den §21 verwiesen, der nach dem Kabinettentwurf entfiele.

Absatz 4, Satz 1: Soziale Verpflichtung
Die soziale Verpflichtung soll stärker betont werden, so daß nicht nur Mitwirkung, sondern Sorgepflicht bezüglich der Berücksichtigung innerhalb des Geltungsbereichs der Hochschulen festgeschrieben wird. Zudem soll die Hochschule als "Anwältin" der besonderen Berücksichtigung wirken: sie kann somit den Rahmen für sozial gleiche Möglichkeiten bieten und gleichzeitig bei den anderen verantwortlichen Stellen (wie dem Land und dem Bund) die Sorgepflicht geltend machen.

Zu Absatz 4, Satz 2: Ausstattung und behindertengerechte Organisation des Studiums
Der neueingefügte Satz konkretisiert die Verpflichtung der Hochschulen innerhalb ihres Bereiches. Da bauliche Maßnahmen im einzelnen nicht immer durchführbar sein dürften, ist in der Organisation auf entsprechende Kompensation zu verweisen. Beispielsweise ist bei gehbehinderten Studierenden in den einzelnen Instituten die Erreichbarkeit der einzelnen Räume, in denen Lehrveranstaltungen abgehalten werden, zu gewährleisten. Dabei bleibt der Absatz 4, Satz 2 unangetastet: die Gesellschaft bleibt für die gleichen Möglichkeiten aller verantwortlich.

Absatz 5: Förderung ausländischer Studierender
Der Absatz wird übernommen. Allerdings müßte in der weiteren Untersuchung das bestehende Ausländerrecht kritisch bearbeitet werden, da es einschränkende, auch das Studium betreffende Regelungen enthält.

Zu Absatz 7: Transfer von Forschungsergebnissen und Technologie
Im Sinne des differenzierteren Wissensbegriffes wurde der Absatz verändert.

Zu Absatz 8: Förderung des Umweltschutzes, der Kultur und des Sports
Als wesentlich wird die Förderung des Umweltschutz betrachtet, sowohl bezogen auf die Lehrinhalte als auch auf die Organisation und Ausstattung der Hochschulen. Kulturelle Veranstaltungen und der Hochschulsport werden ebenfalls ermöglicht. §2, Absatz 4, Satz 2 des Kabinettentwurfes entfällt.

Zu Absatz 9: Information der Öffentlichkeit
Der Absatz wird übernommen, wobei Öffentlichkeit wie folgt verstanden wird: "Die Erfüllung der Aufgaben der Hochschule wird durch eine Information der Öffentlichkeit gefördert. Die öffentliche Rechenschaft entspricht der Verantwortung für Forschung, Lehre und Studium und ist das gesellschaftlich notwendige Gegenstück zur Freiheit von Forschung, Lehre und Studium sowie der den Hochschulen eingeräumten Selbstverwaltung. Die Öffentlichkeitsarbeit bietet darüber hinaus den Ausgangspunkt für eine Rückmeldung und damit für eine Steigerung des Praxisbezugs von Forschung und Lehre.(...) Begrenzt wird die Berichtspflicht durch die Aufgaben der Hochschule. Sie steht deshalb im allgemeinen ohne jede Beziehung zur Arbeit der Hochschulgremien und damit zu §40 (...)." Zusätzlich sollte jedoch betont werden, daß direkte institutionelle Ansprüche der Öffentlichkeit gegenüber den Mitgliedern auf Forschung und Lehre bezogen nicht bestehen, weil es ihrer Freiheit widerspräche. 

 

§3: Gleichberechtigung

1Die Hochschulen fördern die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung im Sinne des allgemeinen Gleichheitssatzes sowie der speziellen Gleichheitsrechte gemäß Art.3 GG. 2Die Mitwirkung besonderer Beauftragter für diese Aufgaben regelt das Landesrecht im Sinne dieses Gesetzes (vgl. §65a-67b im Entwurf des Freien Zusammenschlusses von StudentInnenschaften).

Allgemeiner Kommentar

Die Beschränkung auf die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern greift zu kurz, daher scheint es sinnvoll, sich explizit auf den Art.3 GG zu beziehen. Ein Verweis auf die konkrete Gestaltung, wie sie der fzs vorsieht, trägt zur Eindeutigkeit bei, ohne daß damit der Gestaltungsfreiraum im Landesrecht aufgehoben werden sollte: weitreichendere Funktionen als im HRG bestimmt, sollen in die Länderkompetenz fallen.

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HRG-AG Deutsche Philologie II
AG Demokratiebegriff, Öffentlichkeit, Weiterbildendes Studieren û Gesetze erfahrbar machen
Dr. Gert Vonhoff (6.12.1997; Fassung 2)

§ 8 (Studienreform) û Vorläufiger Entwurfstext

(1) 1Die Hochschulen haben die ständige Aufgabe, im Zusammenwirken mit den zuständigen staatlichen Stellen Inhalte und Formen des Studiums im Hinblick auf die Entwicklungen in Wissenschaft und Kunst, die Bedürfnisse der beruflichen Praxis und die notwendigen Veränderungen in der Berufswelt zu überprüfen und weiterzuentwickeln. 2Die Verpflichtung zur Studienreform soll gewährleisten, daß

  1. die Studieninhalte im Hinblick auf Veränderungen in der Berufswelt den Studierenden breite berufliche Entwicklungsmöglichkeiten eröffnen;

  2. die Formen der Lehre und des Studiums den methodischen und didaktischen Erkenntnissen entsprechen;

  3. die Studierenden befähigt werden, Studieninhalte wissenschaftlich selbständig zu erarbeiten und deren Bezug zur Praxis zu erkennen und (in forschendem Lernen) einzuüben;

  4. die Gleichwertigkeit einander entsprechender Hochschulabschlüsse gewährleistet bleibt und die Möglichkeit des Hochschulwechsels (gerade auch an ausländische Hochschulen) verbessert wird;

  5. die Weiterbildung als Tätigkeitsfeld der Hochschulen ausgebaut wird.

    (2) 1Zur Erprobung von Reformmodellen können besondere Studien- und Prüfungsordnungen erlassen werden, die neben bestehende Ordnungen treten. 2Die Erprobung von Reformmodellen soll nach einer festgesetzten Frist unter Beteiligung aller nach dem BVerfGE-Urteil vom 29. Mai 1973 (1 BvR 424/71) jeweils für zuständig erklärten Gruppen begutachtet werden.

    (3) Für einen neuen Studiengang soll der Lehrbetrieb erst aufgenommen werden, wenn die Genehmigung oder der Erlaß einer entsprechenden Prüfungsordnung erfolgt ist.

    (4) Die Hochschulen unter Beteiligung aller nach dem BVerfGE-Urteil vom 29. Mai 1973 (1 BvR 424/71) jeweils für zuständig erklärten Gruppen treffen die für die Studienreform und für die Förderung der Hochschuldidaktik notwendigen Maßnahmen.

     

    Vorläufige Kommentierung

    Zu § 8 insgesamt:
    Situationsdarlegung
    § 8 des bestehenden HRGs (§ 8a) ist im Bund-Länder-Entwurf (§ 8bl) ersatzlos gestrichen, der Entwurf des freien zusammenschlusses von studentInnenschaften (§ 8fzs) enthält den alten § 8a bis auf eine geschlechterneutrale Umformulierung unverändert.

    Globalkommentar
    Mit dem § 8a, der die Studienreform zur "ständigen Aufgabe" der Hochschulen erklärt, wird im Bund-Länder-Entwurf der Stachel im eigenen Fleisch der Hochschule entfernt. Wo die gesetzliche Verpflichtung zur Studienreform entfällt, geht das Recht, diese erforderlichenfalls einklagen zu können, verloren. Das HRG verliert damit seine juristische Basis, sich außer- wie inneruniversitären Veränderungen anpassen zu müssen. Der Bund-Länder-Entwurf schreibt durch den Fortfall des § 8 die in diesem Reformschritt geschaffene Form eher fest, als daß er das Bewußtsein für deren Gemachtsein und damit für ihre Veränderbarkeit schafft. Weniger Vorschrift ist hier also nicht mehr an Autonomie, denn wo eine derart zentrale Aufgabenstellung als rechtlich bindende aufgegeben wird, tritt an die Stelle von Rechtssicherheit potentiell die Willkür der jeweils Handelnden. Wenn man Reform als permanentes Anliegen streicht, droht viel eher jene Verkrustung, die in der Konsequenz ab einem gewissen Grad jede Modernisierung unmöglich macht. Man schafft so Polarität, wo kontinuierlicher Fortschritt möglich und sinnvoller wäre. Indem das Prozessuale nicht länger juristisch bindend festgeschrieben bleibt, erscheint der vorgebliche Anspruch auf Autonomie als das, was er im Bund-Länder-Entwurf tatsächlich ist: ein Raum wird geschaffen, in dem die Reformzuständigkeit nicht mehr den Hochschulen zugewiesen ist, sondern den Mechanismen der Ökonomisierung anheimfallen kann.
    Daß es überhaupt so weit kommen konnte û das bleibt selbstkritisch festzuhalten û ist eine Folge davon, daß die Hochschulangehörigen ihrer Reformaufgabe zu oft zu schlecht nachgekommen sind. Gerade dieser Dauerauftrag zur Reform ist in der Auseinandersetzung um Bestand, Macht und Mittel zu häufig unter dem ökonomischen Druck, mit dem die Hochschulen seit Jahrzehnten konfrontiert werden, dem verständlichen Versuch der Bestandssicherung untergeordnet worden, darüber bisweilen, so scheint es, schlicht vergessen worden. Das wirkt bis in die heutige HRG-Debatte nach, wo diese Änderung bislang meist unkommentiert geblieben ist. Zögerlichkeit, die so in Reformdingen entstand, ist über die Jahre zum Zaudern und schließlich zur heute larmoyant oder zynisch beklagten Immobilität geworden. Fast scheint es, als würde dieser éUnfallæ in der Geschichte der Hochschulreform durch den Bund-Länder-Entwurf des HRGs dazu genutzt, die Verantwortlichkeit für das Scheitern von den Handelnden weg auf das vom Anspruch her immerhin handlungsanleitende Gesetz zu verlagern. Zum Angeklagten wird das HRG, werden nicht etwa diejenigen, die den sinnvollen und weitsichtigen Auftrag des Gesetzes nicht befolgten.

    Schlußfolgerung
    Die Hochschule kann sich eine Streichung des § 8a nicht leisten. Sie braucht auch keinen Ersatz, sondern nur die konsequente Anwendung des Studienreformparagraphen, damit sie der Hochschulmisere begegnen kann. Dazu allerdings bedarf es stabiler finanzieller Rahmenbedingungen so gut wie im Reformsinne Handelnder in allen Gruppen der Hochschulangehörigen. Das Progressive ist im Fall von § 8 das Eintreten für den Bestand des Studienreformparagraphen, der bis auf die Berücksichtigung des weiterbildenden Studiums nur an einigen wenigen Stellen präzisiert und behutsam angepaßt werden braucht. Denn der Paragraph beschreibt bereits in deregulierender Weise die für ein Rahmengesetz sinnvollen Verpflichtungen hinreichend konkret.

     

    Einzelstellenkommentare
    Zu Abs. 1, Satz 2: Die Verpflichtung zur Studienreform
    Gegenüber der bisherigen Formulierung ("Die Studienreform", § 8a, Abs. 1, Satz 2) wird nun der gesellschaftliche Anspruch auf eine fortzuschreibende Reform deutlicher formuliert.

    Zu Abs. 1, Satz 2, Nr. 1:
    Als Zielvorstellung wird hier ein mündiger und möglichst selbstbestimmter Übergang in die berufliche Tätigkeit formuliert. Das dafür erforderliche Innovationspotential wird in der Formulierung deutlich, die gerade nicht von einem abgeschlossenen Übergangsprozeß, sondern von "Entwicklungsmöglichkeiten" spricht.

    Zu Abs. 1, Satz 2, Nr. 3: Bezug zur Praxis zu erkennen und (in forschendem Lernen) einzuüben
    Die Ergänzung soll darauf aufmerksam machen, daß dem Erkennen immer auch eine Handlungskompetenz folgen muß, soll es gesellschaftlich rückbindbar bleiben. Dem Nachdenken über Konsequenzen und Relevanz für die Praxis soll, wo immer möglich, das aktiv handelnde Umsetzen solcher Reflexion folgen. Es gilt, die Universität in viel stärkerem Maße als bisher zum Praxisraum zu machen. Die dafür erforderlichen Mittel sind zur Verfügung zu stellen. Die Verbindung von Forschung und Lehre wird in solchem forschenden Lehren und Lernen als Praxis konkret.

    Zu Abs. 1, Satz 2, Nr. 4: die Möglichkeit des Hochschulwechsels (gerade auch an ausländische Hochschulen) verbessert wird
    Das im § 15bl neu eingebrachte Leistungspunktsystem ist eine konkrete administrative Regelung, die in ihrer zweiten Begründung schon durch diese Stelle des § 8 geregelt ist. Administrative Regelungen sind aber sinnvollerweise nicht Teil eines Rahmengesetzes. Die Ergänzung um den Wechsel an ausländische Hochschulen soll den geänderten internationalen Rahmenbedingungen Rechnung tragen. Wo von Verbesserung anstelle von Erhalten die Rede ist, soll der hier besonders wichtige Einforderungscharakter für einen heute zumeist als defizitär erkannten Bereich der Reform deutlicher werden.

    Zu Abs. 1, Satz 2, Nr. 5:
    Die Neueinführung dieser Nummer erweitert die Verpflichtungen zur Studienreform um den Bereich, der die Fortschreibung von Bildungsstandards nicht allein der innerbetrieblichen und überbetrieblich nicht-universitären Weiterbildung überläßt. Das weiterbildende Studium macht als Tätigkeitsbereich der Öffentlichkeit über die Hochschulen ein ergänzendes und kritisch andere Weiterbildungsmöglichkeiten sichtendes Angebot, das nicht primär durch die ökonomischen Bedingungen perspektiviert wird. Solch gesellschaftlich sinnvoller Ausbau des Weiterbildungsangebots in Form eines weiterbildenden Studiums hat die Aufstockung der öffentlichen Hochschulmittel zur Voraussetzung.

    Zu Abs. 2, Satz 1:
    Hier wird ein wesentliches Moment des prozessualen Studienreformkonzepts juristisch festgeschrieben. Es ermöglicht die in der Praxis erst prüfende Reform gegenüber einem Konzept der bloßen Reformverordnung. Neben dem experimentellen, juristisch aber verantworteten Freiraum entsteht hier eine Möglichkeit der angewandten Wissenschaft, ein hochschulinternes Praxisfeld also.

    Zu Abs. 2, Satz 2: unter Beteiligung aller nach dem BVerfGE-Urteil-Urteil vom 29. Mai 1973 (1 BvR 424/71) jeweils für zuständig erklärten Gruppen begutachtet werden
    Die Ergänzung will im Rahmen des zur Zeit juristisch Möglichen den Anspruch der Gruppenuniversität verbessern helfen.

    Zu Abs. 3:
    Der Absatz stellt kein bürokratisches Hemmnis dar, sondern fördert ganz im Gegenteil einen verantwortlichen zeitlichen Rahmen, innerhalb dessen ein Studiengang auf rechtsverbindlicher Basis eingerichtet wird. Der Absatz versteht sich als Appell zum verantwortungsvollen Handeln aller an der Neueinrichtung zu Beteiligenden, ihre Arbeit zügig und kompetent, orientiert an der Sache durchzuführen.

    Zu Abs. 4:
    Dieser Teil des § 8 ist darum besonders wichtig, weil er die Reformzuständigkeit bundeseinheitlich regelt, indem er sie den Hochschulen zuschreibt. Indem der Staat sich hier zurückhält, trägt er selbst zu einem höheren Maß an Deregulierung bei, als es dann im Bund-Länder-Entwurf an vielen Stellen zu finden ist.

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    HRG-AG Deutsche Philologie II
    AG Demokratiebegriff, Öffentlichkeit, Weiterbildendes Studieren û Gesetze erfahrbar machen
    Dr. Gert Vonhoff (5.12.1997)

    § 39 (Wahlen) û Vorläufiger Entwurfstext

    1Die Vertreter der Mitgliedergruppen in den zentralen Kollegialorganen und im Fachbereichsrat werden in freier, gleicher und geheimer Wahl von den jeweiligen Mitgliedergruppen und in der Regel nach den Grundsätzen der personalisierten Verhältniswahl gewählt. 2Von der Verhältniswahl kann insbesondere abgesehen werden, wenn wegen einer überschaubaren Zahl von Wahlberechtigten in einer Mitgliedergruppe oder in einem nach Landesrecht gebildeten Wahlbereich die Mehrheitswahl angemessen ist. 3Durch die Regelung des Wahlverfahrens und die Bestimmung des Zeitpunkts der Wahl sind die Voraussetzungen für eine möglichst hohe Wahlbeteiligung zu schaffen; bei unmittelbaren Wahlen zu den zentralen Kollegialorganen und zum Fachbereichsrat ist allen Wahlbeteiligten die Möglichkeit der Briefwahl zu geben.

     

    Vorläufige Kommentierung

    Zu § 39 insgesamt:
    Situationsdarlegung
    § 39 des bestehenden HRGs (§ 39a) ist im Bund-Länder-Entwurf (§ 39bl) ersatzlos gestrichen, der Entwurf des freien zusammenschlusses von studentInnenschaften (§ 39fzs) enthält den alten § 39a in veränderter Form.

    Globalkommentar
    Wahlen nicht gesetzlich regeln zu wollen heißt, sie abschaffbar zu machen. Wie das mit einem demokratischen Grundverständnis zu vereinbaren ist, bleibt ungeklärt.
    Ein Wahlrecht, von dem in der Hochschulpraxis teilweise wenig Gebrauch gemacht wird, ist auch ein Gradmesser für den Stand der Verwirklichung von Mitbestimmung. Ein Recht, das man nicht wahrnimmt, ist eine soziale Ausdrucksmöglichkeit. Nicht das Recht ist in Frage zu stellen, sondern die Hochschulpraxis im Sinne einer verantwortbaren Mitbestimmung zu gestalten.

    Schlußfolgerung
    Die Hochschule als Bestandteil und Bildungsstätte einer demokratischen Gesellschaft kann sich eine Streichung des § 39a nicht leisten. Der Paragraph kann unverändert beibehalten werden.

     

    Einzelstellenkommentar
    Zu Satz 2:
    Dieser Teil des § 39 ist ein Beleg dafür, daß das bestehende HRG hier hinreichend flexibel ist, also entbürokratisierender Änderungen in diesem Bereich gar nicht bedarf.

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    HRG- AG Deutsche Philologie II
    Arbeitskreis Deregulierung
    Sabine Porschen, Uli von Thenen, Christian Kaase, Thorsten Zumloh, Tobias Gombert
     

    Die entfreiende Freiheit - Zur Deregulierung im neuen Hochschulrahmengesetz

    Die Forderung nach mehr Wettbewerb an den deutschen Hochschulen wird immer lauter. Ein Faktor dieses Wettbewerbs soll die Ausrichtung der akademischen Ausbildung auf einen neoliberalistischen Leistungsbegriff sein, dem Universitäten und Studierende sich vielleicht bereits in naher Zukunft zu beugen haben. Schon lobt der "Spiegel" das "High-Teach" einiger auf diesem Trend surfenden mecklenburgischen Hochschulen, besonders Dresden. Schlagwörter wie der Bachelor-Abschluß, Deregulierung oder Autonomie der Hochschule wurden sehr geschickt in die Diskussion gebracht und von unkritischen Medien allzu bereitwillig separat verhandelt; die Dimension des neuen Hochschulrahmengesetzes blieb kaschiert. Auch die Forderungen von studentischer Seite beschränken sich häufig auf die Oberflächenstruktur der Transparente. Erst die genaue Analyse dessen, was nun geplant ist, kann dieser wichtigen Diskussion die angemessene Basis geben.
    Deregulierung ist mit ihrem Schein von Freiheit ein offensichtliches Phänomen des neuen Hochschulrahmengesetzes (HRG), das den Hochschulen Autonomie vorgaukelt. So entfallen im Kabinettsentwurf zum Beispiel die Paragraphen 4 und 8. An die Stelle der bundesrechtlichen Regulierungen tritt die Evaluation, die voraussichtlich von Instituten der freien Wirtschaft durchgeführt würde und von der die Finanzierung der Hochschulen abhinge. Damit hätte sich der gesellschaftliche Neoliberalismus an den Hochschulen , immatrikuliertÆ. Vermutlich würde die Geschwindigkeit des Studiums ein Bewertungskriterium, eine Annahme, zu der auch der geplante Bachelorabschluß Anlaß gibt; verwundert registriert man die fehlende Innovationskraft, während man diese hinterrücks mit dem verschulten Studierenden wieder zur Tür hereinbittet. Denn wenn die Regelstudienzeit 3-4 Jahre beträgt, wäre ein solcher Abschluß ohne die Verschulung der Studiengänge nicht zu erreichen. Kritisches Denken und eigene Reflexivität wären damit gerade konterkariert. Untermauert wird dieses Konzept durch den Verzicht darauf, daß Studierende befähigt werden sollen, "Studieninhalte wissenschaftlich selbständig zu erarbeiten" (§8, Abs.1, Satz 2). Auch die Zusage, daß die Studierenden an der Evaluation beteiligt werden müssen (§6, HRG-Entwurf) ist problematisch, eine genauere Definition ist im Gesetzestext ausgespart. Unzweifelhaft ist, daß die Studierenden an der Gestaltung der Lehre zu beteiligen sind, unzweifelhaft aber auch, daß eine Einflußnahme Risiken birgt. Zudem sollte der Studierende eher versuchen, die Lehrveranstaltungen mitzugestalten, als sich am technischen Verfahren der Evaluation zu beteiligen. Studentische Mitarbeit wird durch die Nutzung von Serviceleistungen verdrängt.
    Die spezielle Analyse der wegfallenden Paragraphen 4 und 8 zeigt die Programmatik des neuen Entwurfes; daß Wissenschaft und Praxis dem "jeweiligen Studiengang entsprechend" verbunden sind, sollte Paragraph 4, Abs.2, Satz 3 (geltendes HRG) gewährleisten, perspektiviert durch Paragraph 23 Abs.2, nach dem die Forschung ihre Erkenntnisse zu veröffentlichen habe. Indem nun diese Regelungen wegfallen, wird ein veränderter Praxisbegriff vorbereitet. Im Spannungsfeld wirtschaftlicher Evaluation und wegfallender Öffentlichkeit ist ein Begriff "Praxis", der sich an den Interessen vieler orientiert, nur schwer vorstellbar. Letztendlich leistet er einem Öffentlichkeitsbegriff Vorschub, der in der "Produktion" von gesellschaftlichen Leistungsträgern steckenbleibt:
    "Die Hochschulen haben die ständige Aufgabe, im Zusammenwirken mit den zuständigen staatlichen Stellen Inhalte und Formen des Studiums im Hinblick auf die Entwicklungen in Wissenschaft und Kunst, die Bedürfnisse der beruflichen Praxis und die notwendigen Veränderungen in der Berufswelt zu überprüfen und weiterzuentwickeln."(§8, Abs.1, Satz 1; geltendes HRG)
    In der aufzählenden Form war im HRG ein unausgesprochenes Bild von Hochschule enthalten, das deutlicher im HRG-Entwurf der Bündnis-Grünen hervortritt: "Die Hochschulen sind berechtigt, auf Entwicklungen hinzuweisen, die nach dem Stand der Wissenschaft für Mensch und natürliche Umwelt schädlich sein können." (§2, Abs.3; Bundesdrucksache 13/8824) Doch selbst diese Formulierung weist auf einen bestehenden Mißstand hin: die Möglichkeit der kritischen Funktion wurde nur allzu selten genutzt. Die geforderte prozeßhafte Weiterentwicklung der Universitäten fiel der statischen Besitzstandswahrung zum Opfer. Dennoch ist es die falsche Konsequenz, wegzurationalisieren, was wesentliche Aufgabe der Hochschulen sein muß. Indem im neuen HRG auf dieses dynamische Element verzichtet wird, ist der Finalität einer auf die Bedürfnisse der Wirtschaft abgerichteten Dienstleistungsinstitution Universität der Weg bereitet. Diese Zweckgebundenheit ist nur noch in dem Sinne Prozeß, in dem auch Siemens seine Waschmaschinen verbessern muß.
    Daß nach dem bisherigen HRG Studierenden "breite berufliche Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet" (§8, Abs.1, Satz 2) werden sollen, kann eine solche Konzeption "Hochschule" nicht mehr gewährleisten. An die Stelle der Breite ist der kanalisierte Student gesetzt. Er verliert in dieser Verengung seine Schlüsselqualifikation: selbständiges und schnelles Einarbeiten in möglichst viele komplexe Themengebiete. Die "lean production" der Gesellschaft findet hier im "lean thinking" ihre Entsprechung. Zugleich wird den Studierenden systematisch der Weg zum ehemals emphatischen Verständnis von Universität verstellt: wie soll die Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden (universitas) entstehen, wenn die Gruppe der Studierenden eher an der Kinokasse als in der Bibliothek sitzt, weil sie sich das Studium verdienen muß? Ihre Arbeit ist an den Universitäten, der Arbeitsplatz zumeist noch nicht. Der Langzeitstudent wird angeprangert, nachdem er häufig erst durch seine wirtschaftliche Lage dazu geworden ist. Der Reduzierung des Studierenden auf einen Kostennutzenfaktor läuft dann die Hierarchisierung der Hochschulstrukturen parallel, die nicht mehr als selbständig für etwas definiert werden: ist die Funktion für die Gesellschaft nicht an Mündigkeit, sondern Wirtschaftlichkeit gemessen, wird Autonomie û als kritisches Bewußtsein für Gesellschaft û zur Freiheit des Bestehenden pervertiert. Die Parallele zur Gesellschaft offenbart die Problematik der als harmlose Novellierung des Hochschulrahmengesetzes getarnten Hochschulreform. Innere und äußere Reform müssen sich vielmehr nach einem Demokratieprinzip ergänzen, das alle Betroffenen in die Konzeptfindung einbezieht: Finanzierung und studentische Mitarbeit (erweiterte Tutoren- und Hilfskraftprogramme, Projekte für forschendes Lernen), Qualifikation und Verantwortung des Bundes (Möglichkeit zu neuen Studienmodellen, Grundsicherung von Studienplätzen, adäquate Ausstattung der Hochschulen), Studienordnung und Hochschulreform, Weiterbildung und Praxisorientiertheit (erweiterte Fortbildungsprogramme, Neugewichtung von Praktika, wechselseitige Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis) sind nicht isoliert voneinander zu betrachten. Freiheit der Hochschule schließt dann einerseits den Freiraum zur ständigen Reform und andererseits ein kritisch-funktionales Bild von Bildung ein, dessen Aufgabe durch das Hochschul-Rahmengesetz festgehalten wird.
    Die Ideologie des allgemeinen Wettbewerbs wird dorthin getragen, wo die Möglichkeiten erst entstehen, Ideologie zu kritisieren. Hochschule müßte also eigentlich ein Gegengewicht zur Gesellschaft bilden; daß dieses Gegengewicht nicht länger erwünscht wird, ist die eigentliche Kernaussage des HRG- Entwurfes.

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