Juni 1998
Matthias Neis

Was lange währt, ... (?)
Nach langem Warten liegt der Entwurf für ein neues Landeshochschulgesetz vor





 





Was lange währt,...(?)

Nach langem Warten liegt der Entwurf für ein neues Landeshochschulgesetz vor.

(Matthias Neis)

aktualisierter Artikel aus "Links vorm Schloß. Magazin des ASTA Uni Münster", 7/1998, S. 10-12

 

Es hat gedauert; eine ganze Weile und es brauchte eine lange Reihe von Terminankündigungen, bis schließlich eine eingehalten wurde. Bereits für Ostern war die endgültige Fertigstellung des Referentenentwurfs der Novelle zur nordrhein-westfälischen Hochschulgesetzgebung versprochen worden. Daraus wurde nichts, wie häufig, wenn das Bildungsministerium ein Versprechen macht. Mitte Mai war er schließlich da. Der Referentenentwurf zur Funktionalreform; des Reformwerks, das die Unis und FHs in NRW fit für das kommende Jahrhundert machen soll. Daß das Ministerium von Anke Brunn glaubt den Weg in diese Zukunft mit sehr einfachen Maßnahmen erschließen zu können, zeigt der Titel der "Leitlinien zur Funktionalreform", die vor annähernd 2 Jahren die Marschrichtung des neuen Gesetzes vorgeben sollten. Wie zum Motto steht lapidar auf dem Einband dieses Dokuments: "Weniger Staat für die staatlichen Hochschulen". Leider erwies sich der Titel als gut gewählt, denn wesentlich mehr als ein marktwirtschaftlich gefüllter "Autonomie"-Begriff fiel dem Autor der Leitlinien nicht zum Thema ein. So sollte ein neues Gesetz für die Hochschulen an Rhein und Ruhr aussehen? In der Ablehnung der Leitlinien waren sich ausnahmsweise sogar einmal die Studierenden und die Professorenschaft einig.

Um so gespannter durfte man sein, was die zuständigen MitarbeiterInnen von Anke Brunn mit den Reaktionen anfangen würden. Ein bißchen glich das Gefühl, den Referentenentwurf schließlich in Händen zu halten daher dem, was man als Kind bei der Bescherung empfindet. Genaugenommen entsprach es aber leider am ehesten dem Gefühl beim Auspacken der Geschenke, die einem von den netten Tanten zugedacht wurden. Erstens wußte man sowieso, daß etwas furchtbar langweiliges drin war (Socken) und zweitens konnte man ziemlich sicher sein, daß es einem auch nicht gefiel (rosa Karo-Muster).

Damals bestätigte sich der Verdacht beim Aufmachen des Geschenks der netten Tante und heute auch.

Um ein kurzes Fazit bereits am Anfang zu ziehen: Das neue Landeshochschulgesetz (LHG) wird, sollte es sich nach diesem Entwurf richten, genau in die Linie passen, die das Rüttgers-HRG vorgibt, wenn auch einige sinnvolle Verbesserungen in Einzelfragen enthalten sind.

Kurz und knapp sollen hier die entscheidenden Veränderungen in der Novelle vorgestellt werden. Zu Anfang eine Gute Nachricht:

 

Das politische Mandat

Nicht neues zwar in der Frage des politischen Mandats. Der Entwurf übernimmt die Formulierungen des vorhergegangenen UG. Trotzdem kann man noch mal positiv vermerken, daß das Landeshochschulgesetz in NRW in der Frage des politischen Mandats (zusammen mit Hessen) die fortschrittlichste und allgemeinste Regelung enthält. Zu den Aufgaben der Studierendenschaft gehört nach §72, 2,4: "...die politische Bildung, das staatsbürgerliche Verantwortungsbewußtsein und die Bereitschaft zur aktiven Toleranz ihrer Mitglieder zu fördern."

Die Tatsache, daß diese Formulierung sehr dehnbar ist kann sich allerdings als nachteilig erweisen. Gerichte können den Begriff der "politischen Bildung" sehr restriktiv auslegen und die Asten damit weiterhin in ihrer politischen Arbeit sehr einschränken. Trotzdem steht außer Frage, daß sich bestimmte selbsternannte Hochschulrechtler über diese weitgehenden Aufgaben noch immer sehr ärgern.

 

Demokratisierung

Bei der demokratischen Partizipation ist dem Referenten kein großer (Ent-) Wurf gelungen. Der Konvent als höchstes beschlußfassendes Gremium wurde abgeschafft. Seine Aufgaben: Beschluß über die Grundordnung, Wahl des Rektors/der Rektorin, gehen an den Senat über (§ 21).

Im Senat haben weiterhin die Professoren eine große Mehrheit. Sie haben alleine genauso viele Sitze, wie Studierende, wissenschaftliche und nicht-wissenschaftliche Mitarbeiter zusammen. Dem Senat großer Hochschulen werden künftig angehören: 13 Professoren, 5 wissenschaftliche Mitarbeiter, 5 Studierende, 3 nicht wissenschaftliche Mitarbeiter. Das heißt, bei Stimmengleichheit entscheidet der Rektor, der ebenfalls Mitglied des Senats ist. Hier, wie in vielen anderen Bereichen, wurden Kompetenzen des Rektors erweitert. So entwirft das Rektorat in Zukunft den Hochschulentwicklungsplan. Ihm wird auch weiterhin kein studentisches Mitglied angehören. Es ist vorgesehen, studentische VertreterInnen in für sie relevanten Fragen zu den Sitzungen des Rektorats hinzuzuziehen (§ 20,6).

Die Stärkung der Exekutive setzt sich auf der Fachbereichsebene fort. Dekanate, bestehend aus dem/der DekanIn und zwei ProdekanInnen, formulieren gleichfalls Entwicklungspläne für ihre Fachbereiche. Positiv ist, daß einE ProdekanIn aus der Gruppe der DozentInnen oder Studierenden kommen kann (§ 27,6). Wägt man das allerdings gegen die Kompetenzverlagerung zugunsten einzelner Personen und Exekutivorgane ab, so bleibt ein bedenklicher Trend, der selbst die minimalen demokratischen Ansätze an den Hochschulen noch beseitigen will. Dazu paßt, daß man nicht etwa über alternative Wahlmodelle nachdenkt, sondern weiterhin den Senat der konservativsten Gruppe an der Uni völlig überläßt: den Professoren.

 

Gesellschaftliche Beiräte

Die Idee eines Kuratoriums, daß mit gesellschaftlich relevanten Gruppen besetzt ist, wurde in den Entwurf zwar aufgenommen, es bleibt aber völlig ohne Kompetenzen (§24). Die Zusammensetzung bleibt, bis auf die verbindliche Teilnahme von RektorIn, KanzlerIn und eineR VertreterIn der jeweiligen Kommune, der Hochschule überlassen. Für Hochschulen die nah beieinander liegen soll es gemeinsame regionale Kuratorien geben.

Es steht fest,, daß ein moralisches Feigenblatt, das sich nur beratend äußern darf, keinerlei gesellschaftlichen Einfluß in die Hochschulen bringen wird. Positiv heißt das, in NRW wird es keinen wirtschaftsgesteuerten Aufsichtsrat geben wie in Bayern. Negativ gesagt, gibt es so auch keine Chance über gesellschaftlich breit gestreute Kuratorien mehr Rückkopplung an die kritische Öffentlichkeit an die Hochschulen zu bringen, wie dies in Berlin der Fall ist.

 

Finanzen

Der Entwurf schreibt eine globale Mittelvergabe an die Hochschulen in NRW fest (§ 6,3). Die Globalhaushalte sind gekoppelt an eine "Kosten- und Leistungsrechnung". Diese Rechnung dient zum einen der internen Verteilung der globalen Zuweisungen. Gleichzeitig soll das Ministerium damit Erkenntnisse über die Gesamtsituation bekommen.

Die Wesentlichste Veränderung ist allerdings: Hochschulen in Nordrhein-Westfalen werden in Zukunft nicht mehr nach dem finanziert, was sie brauchen, sondern danach, was sie leisten (§ 6,1). Dies bedeutet, daß Kennziffern zur Bemessung der Leistung ausgearbeitet und die Leistung auch gemessen werden muß. Daher nimmt die Evaluation einen breiten Raum im Entwurf ein (§ 4). Sowohl die Forschung als auch die Lehre sollen bewertet werden, wobei den Studierenden ein Mitspracherecht bei der Evaluation der Lehre gewährt wird. Regelmäßige Studierendenbefragungen sind innerhalb des Gesetzes vorgeschrieben. Höchstwahrscheinlich werden Absolventenzahlen ein wesentlicher Indikator bei der "Leistungsfeststellung" sein. Denkt man dies weiter, so ist es fast unvermeidlich, daß das Gegenteil von "Leistungsfähigkeit" erreicht wird. Welcher Weg zu mehr Mitteln wäre denn für Hochschulen leichter zu beschreiten, als einfach sämtliche Prüflinge schnell durchzuwinken, ohne sich um teure und personalintensive Verbesserung der Ausbildung zu kümmern.

Gleichgeblieben sind die Aussagen zur Drittmitteleinwerbung. Danach bietet das Gesetz weiterhin einen sehr breiten Spielraum für die Finanzierung von Forschungsvorhaben aus externen Quellen. Der Einfluß der Wirtschaft auf die Hochschule wird so gestärkt.

 

Frauenförderung

Im Bereich der Frauenförderung gibt es einige Verbesserungen (§ 23). Die Gleichstellungsbeauftragten müssen zu den Sitzungen aller Gremien eingeladen werden und haben Antrags- und Rederecht. Das gilt auch für Sitzungen des Rektorats. Allerdings dürfen unverständlicherweise ausschließlich Professorinnen und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen zu Gleichstellungsbeauftragten gewählt werden. Begründung dafür ist, daß die Beauftragten für die Gleichstellung in Forschung und Lehre zuständig sein sollen, also nur Wissenschaftler kompetent für diese Aufgabe sind. Im Gegensatz dazu muß man davon ausgehen, daß die Benachteiligungen von Frauen nicht auf wissenschaftlich-inhaltlicher Ebene ihren Grund haben, sondern innerhalb von fast immer professoral-dominierten Strukturen.

 

Studiengebühren/Zwangsmaßnahmen:

Immerhin: Der Entwurf des LHG enthält ein explizites Verbot von Studiengebühren (§ 10). Das ist in Anbetracht der Diskussionen des letzten Jahres erfreulich, denn damit war nicht unbedingt zu rechnen. Die Einführung von "Sonderverwaltungsabgaben" oder ähnlichem wird durch das Gesetz nicht ausgeschlossen. Dies ist aber auch kaum möglich, da man zu diesem Zweck generell alle Gebühren verbieten müßte.

In der Frage von Repressionen nimmt der Referentenentwurf den Faden des HRG auf, läßt aber etwas mehr Spielraum. Es gibt zwar eine verstärkte Beratungspflicht aber ohne klare Aussage zum Zwangscharakter solcher Beratungstermine (§ 83). In jedem Fall soll sich die Hochschule bis zum Ende des zweiten Semesters über den Studienverlauf informieren und "gegebenenfalls" eine Beratung durchführen.

Die Ausführungen zur Zwangsexmatrikulation entsprechen im Wesentlichen den Regelungen der Vorgängergesetze. Ziemlich skandalös ist, daß eine Zwangsexmatrikulation auch noch immer möglich ist, wenn einE StudentIn "den bestimmungsgemäßen Betrieb einer Hochschuleinrichtung, die Tätigkeit eines Hochschulorgans oder die Durchführung einer Hochschulveranstaltung behindert." Im Klartext heißt das: JedeR Studierende kann in einer Streik- oder Protestsituation exmatrikuliert werden Das ist auch eine Form der Auseinandersetzung mit anderen Meinungen. Sicher, politisch wären solche Maßnahmen nie durchsetzbar, sie setzen aber ein völlig falsches Signal.

Passend zu mehr "Leistungskontrolle" will der Entwurf eine obligatorische Zwischenprüfung für alle Studiengänge. Besonders interessant ist, daß an vielen Fachbereichen gerade die Zwischenprüfungen wieder abgeschafft werden sollen, da sie erstens den Studierenden gar nichts bringt und zweitens weniger als gar nichts über die vielbeschworene "Studierfähigkeit" aussagt.

 

Studienreform/ Bachelor und Master

Das Lieblingskind der Hochschulpolitiker hat auch in diesen Entwurf Einzug gehalten: Der Bachelor (§ 96,4). Sinn der Einführung dieses neuen, kürzeren Studiengangs soll die internationale Vergleichbarkeit sein, denn auch in Großbritannien, den USA und Australien gibt es diesen Abschluß. Leider wird bei dem schmucken Namen meistens völlig übersehen, wie wenig diese Abschlüsse in den einzelnen Ländern wirklich vergleichbar sind.

Beachtet man auch noch, daß schon in Deutschland die Bachelor Studiengänge, die momentan eingeführt werden von Hochschule zu Hochschule völlig unterschiedlich sind, dann heißt die Aussicht für die Zukunft: Nicht mehr Vergleichbarkeit, sondern 20 verschiedene Abschlüsse, die lediglich den selben Namen tragen.

Es gibt noch zahlreiche weitere Aspekte zum Thema Bachelor/Master, aber das würde den Rahmen dieses Artikels gänzlich sprengen.

Situdienreform steht weiterhin als Aufgabe im Gesetzestext (§ 7). Besonders betont werden die Ziele, das Studium zu modularisieren und ein Leistungspunktsystem einzurichten.

 

Öffnungsklausel

Wie fast alle neuen Hochschulgesetze beinhaltet auch dieser Entwurf eine Öffnungs- oder Experimentierklausel über die wesentliche Regelungen des Gesetzes zu Kompetenzverteilung und Organisationsstruktur ausgehebelt werden können. Die Ziele, die mit solchen Experimenten verfolgt werden sollen, sind so allgemein und teils auch gegensätzlich, daß sie fast alles erlauben. Die Tendenz geht klar dahin, Rektor und Dekan mit weiteren Kompetenzen auszustatten. Darüber, wie die Öffnungsbeschlüsse an der einzelnen Hochschule gefaßt werden sollen sagt der Entwurf nichts aus. Allerdings muß eine Hochschule die Zielvorgaben der Experimente mit dem Ministerium abstimmen. Ob dadurch allerdings mehr im Sinne der Studierenden "herumlaboriert" wird, bleibt zweifelhaft. Daher müßte bei der Entwicklung von Experimentier-Konzepten ein Gremium entscheiden, daß alle Gruppen der Hochschule ausreichend berücksichtigt. Das kann nicht der Senat sein. Mindestens aber muß es eine antragsvorbereitende Kommission mit paritätischer Besetzung geben.

 

Fazit

Wie schon gesagt: Der Grundtenor besteht aus den Schlagworten: "Autonomie", "Leistungssteigerung", "Effizienz" und "Professionalisierung". Dabei kommen in einigen Fällen sinnvolle Veränderungen heraus, wie etwa die Aufhebung der Habilitation als alleinigem Zugangsmittel zu einer Professorenstelle. Andererseits bleibt die Demokratie und die Mitbestimmung hier auf der Strecke oder wird zumindest als notwendiges Übel und nicht als Ziel der Hochschulorganisation verstanden.

Wer sich das HRG ansieht, der hätte jedoch in der Tat Schlimmeres erwarten können. Von einer rot-grünen Regierung darf man doch aber hoffentlich auch besseres erwarten.

Bedenklich ist, daß die Grundausrichtung der Bildungspolitik in NRW der des HRGs entspricht. Es ist also auch nach einem Machtwechsel nicht unbedingt eine Kehrtwende zu erwarten.

Abschließend muß noch einmal festgestellt werden, daß sich an dem Entwurf des LHG im parlamentarischen Prozeß durchaus noch einiges ändern kann, besonders, wenn man den Aussagen der grünen Landtagsfraktion glauben schenken darf.

Daher noch ein kurzer "Wunschzettel" am Schluß: Liebe Tante Anke: Bitte keine Socken mehr und vor allem keine so konservativen Muster.

 

Nachsatz:

Nachdem dieser Text bereits beendet war ergaben sich einige Änderungen in der hochschulpolitischen Landschaft NRWs. Eine wesentliche ist, daß "Tante Anke" in der Zukunft nicht mehr in der Lage sein wird, irgendwelche Wünsche zu erfüllen. Der gesamte Bereich Hochschule wurde dem "Schulministerium" unter Ministerin Behler zugeschlagen. Dieser Schritt zeigt, welchen Stellenwert Hochschulen in der Landespolitik NRWs noch haben. Möglicherweise wird der vorliegende Entwurf, da ja nicht "autorisiert", nochmals überarbeitet. Die Veränderungen, die aus dem neuen "Super"-Ministerium zu erwarten sind werden allerdings eher Verschlimmerungen als Verbesserungen darstellen.

Die grundsätzliche Ausrichtung der SPD-Bildungspolitik wird noch deutlicher, wenn man berücksichtigt, daß im Schattenkabinett von Kanzlerkandidat Schröder Wissenschaft dem Wirtschaftsministerium zugeschlagen wird.